27. Februar 2022
Schaden-Freude
Er sprach aber auch in Gleichnissen zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund.
Gedanken zum Text
Das Gleichnis dieses Evangeliums ist unerwartet klar, kennt man doch sonst auch gute Beispiele für Jesu Predigten, die Klärungsbedarf verlangen: Jesus spricht die Heuchler an, die sich über die anderen stellen. Sie fühlen sich als etwas Besseres, wollen auf Fehler aufmerksam machen und andere Menschen von oben herab belehren. Ihnen fehlt laut Jesus die nötige Selbstreflexion, um zu erkennen, dass sie kein Deut besser sind als die „Sünder“, über die sie sich stellen wollen.
Diese Stelle zeigt etwas Urmenschliches, was man natürlich auch heute noch sehen kann. Wer kann von sich nicht behaupten, dass ich einen Grad von Befriedigung oder Genugtuung erhasche, wenn ich andere Menschen auf ihre Fehler hinweise – nicht im Sinne einer helfenden Geste, sondern als geradezu tadelhafte Belehrung, dass ich es einfach besser weiß. Ich bin geradezu darauf aus, dass andere einen Fehler begehen, nur um sie dann bloßzustellen – ich erlebe Schadenfreude, also eine Freude, die sich aus dem Schaden bzw. Fehler einer anderen Person ergibt. Ich erbaue mich auf den Fehlern anderer, die mir guttun und ein Gefühl von Erhabenheit geben.
Dabei fehlt mir häufig auch der gewisse Grad an Selbstreflexion, wie es Jesus von den Heuchlern verlangt. Mir steht es nicht zu, dass ich mich über den anderen stelle, nur weil dieser einen Fehler begangen hat. Denke ich darüber nach, so fallen mir auch viele eigene Fehltritte ein, die vielleicht von anderen nicht direkt erkannt wurden. Ich bin genauso fehlerbehaftet wie mein Gegenüber, dem ich mit erhobenen Zeigefinger eine Lektion erteilen will.
Vielmehr sollte sich mein Blick nicht auf die anderen richten, sondern auf mich selbst – auf mein Tun, Handeln und Denken. Erst wenn ich das tue, kann aus meinem Handeln etwas Gutes entstehen – und erst dann bin ich dazu befähigt, meinem Nächsten bei seinem „Splitter im Auge“ zu helfen, und das nicht aus Schadenfreude, sondern aus Nächstenliebe.